Zwei Frauen liegen auf einer Wiese

Was ist Epigenetik?

Die Wissenschaft beschäftigt seit langem eine Frage: wie werden wir, wer wir sind? Antworten darauf liefern neue Erkenntnisse der Epigenetik. Wie du lebst, bestimmt deine Einzigartigkeit und letztlich auch deine Gesundheit. Und womöglich auch die deiner Kinder und Kindeskinder. Was ist also Epigenetik? Und wie weit nehmen wir Einfluss auf die Entstehung von Krankheit, Alterung, und Stress?

Was ist Epigenetik? – eine Definition[1][2]

Kind küsst die Nase der Mutter
© Pexels

Hast du Großvaters grüne Augen geerbt? Oder die Nase deiner Mutter? Oder seid ihr ähnlich krankheitsempfindlich? Du besitzt Eigenschaften, die durch die Vererbung der mütterlichen und väterlichen Gene an dich weitergegeben wurden und dein Wesen mitbestimmen. Jede Zelle deines Körpers trägt in ihrem Zellkern diese Erbinformationen in Form von DNA, einer Art Bauanleitung zur Herstellung von Proteinen.

Was aber ist die Epigenetik? Lange Zeit wurde angenommen, wir wären ausschließlich das Produkt unserer Erbinformationen, einer Art unveränderlichen Bauplan, der schon vor der Geburt festgelegt wurde. Doch die Einflüsse aus deiner Umwelt und die Art wie du lebst, bestimmen, ob bestimmte Gene ein- oder ausgeschaltet und damit im Körper wirksam werden.

Nicht für jede Zelle sind alle Erbinformationen gleichermaßen von Bedeutung. Eine Muskelzelle nutzt nur jene Gene, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben sinnvoll sind. Eine Hautzelle aktiviert einen anderen Satz an Genen. Der Rest wird, sozusagen, stumm geschaltet. Diese Funktionen macht sich die Epigenetik zu Nutzen.

Das erklärt, warum z.B. ein eineiiger Zwilling an einer Erbkrankheit erkrankt, der andere aber nicht. Obwohl sie aus einer Eizelle hervorgegangen sind und genau die gleichen Gene, also denselben Bauplan, besitzen. Und nicht nur das; mit großer Wahrscheinlichkeit werden sich die beiden auch in ihrer Statur, den Charakterzügen und in ihrem Gefühlsleben unterscheiden.

Was ist Epigenetik? Die Epigenetik beschäftigt sich laut Definition mit der Frage, wie Faktoren aus der Umwelt die Aktivität deiner Gene steuern, ohne die Gene selbst dabei zu verändern. Die Gesamtheit der biochemischen Veränderungen in deinem Körper, die dafür nötig sind, werden Epigenom genannt.

Wie funktioniert die Epigenetik?[1]

Deine Ernährung, die Luft, die du atmest, die Dinge, die du tust, die Beziehungen, die du zu anderen aufbaust. Sogar die Gefühle die du empfindest. Für die Epigenetik gibt es viele Beispiele an Einflüssen. Diese prägen deine Einzigartigkeit in körperlicher Hinsicht, in deinem Verhalten und auch in deinen sozialen Beziehungen. Zwar werden die Erbinformationen selbst nicht neu geschrieben, aber mitbestimmt, welche Gene an- oder ausgeschaltet werden. Und damit nicht genug: Du bist auch das Ergebnis der Umweltfaktoren deiner Vorfahren. Denn all diese Faktoren wirken nicht nur auf deinen Körper, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf den deiner Nachkommen. Oder kurz gesagt: Opas üppige Nachspeisen, das unverarbeitete Traumata deiner Großmutter oder Giftstoffe, denen deine Mutter ausgesetzt war, können sich auf deine Gesundheit im Hier und Jetzt auswirken.

Epigenetik

Beispiele von Einflüssen auf die Aktivität deiner Gene
Ernährung
1
Tomaten Mozzarella Salat und Rotwein
© Stiefkind
Bewegung
2
Ein Paar beim Wandern
© Heldentheater
Krankheit
3
Mann hält sich Hände ans Gesicht
© iStock
Giftige Chemikalien
4
Rauchschwaden
© Unsplash
Drogen & Alkohol
5
Zwei Männer stoßen mit Biergläsern an
© Pexels
Finanzieller Status
6
Münzen in einer Vase mit grünen Blättern
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Mentale Stärke
7
Frau mit geschlossenen Augen im Wald
© Unsplash
Medikamente
8
Verschiedene Tabletten
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Mikrobiom
9
DNA Strang
© Unsplash

Hast du also Einfluss auf deine epigenetische Vererbung? Anders als deine Gene, die nicht veränderbar und starr sind, ist das Epigenom wandelbar, dynamisch und sogar korrigierbar. Deine Zellen besitzen eine Art Gedächtnis. Sie merken sich, wie viel Stress du hast, was du isst, wie viel du dich bewegst und passen sich an diese Gegebenheiten an. Und das dein Leben lang. Wenn dir bewusst ist, wie die Epigenetik funktioniert, kannst du z.B. deine Ernährung so gestalten, dass sie positiv auf deine Epigenetik und vermutlich auf die deiner Enkel und Urenkel wirkt.

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Mutter mit Tochter auf dem Rücken
© iStock

Auf welche Weise hinterlassen die Reize aus der Umwelt Spuren in deinen Zellen?[1][3][4]

Damit wir verstehen, wie die Epigenetik deine Gene steuert, rufen wir uns erst die Rolle der DNA in Erinnerung. Die DNA besteht aus zwei Fäden, die gemeinsam eine Doppelhelix bilden und deinen genetischen Code in Form von Basen trägt.

Grafik DNA Transkription

Die DNA-Sequenz enthält jene Informationen, die die Herstellung von Proteinen ermöglichen. Sozusagen die Bauanleitung für z.B. deine Haut, Haare, Bindegewebe, Muskeln und Knochen. Zwei Schritte braucht es von der DNA zum Protein. Da die DNA selbst nur Informationen speichert, wird erst eine Kopie der Bauanleitung angefertigt und an einen Boten übergeben. Diese Kopie wird mRNA genannt. Der Bote verlässt samt mRNA den Zellkern und macht sich auf den Weg zu den Bildungsstätten der Proteine, den Ribosomen. Die Ribosomen beginnen nun, die in der mRNA enthalten Informationen zu entschlüsseln und streng nach Bauanleitung aus Aminosäuren Proteine zu bilden.

Warum wird also das eine Gen abgelesen, während das andere stumm bleibt? Um diese zentrale Frage der Epigenetik zu beantworten, gehen wir noch ein Stück tiefer, bis in das Zentrum deiner Zellen. Damit der fast zwei Meter lange DNA-Strang auch im winzig kleinen Zellkern Platz findet, muss er vorab gut verpackt werden. Dafür wird jeder DNA-Faden um Proteine, sogenannte Histone gewickelt. Dieser gesamte Komplex wird Chromatin genannt. Ob nun ein Gen abgelesen werden kann oder nicht, bestimmt der „Verpackungsgrad“. Ist dieser locker oder offen, ist die DNA eines Gens durch die RNA ablesbar. Im geschlossenen Zustand hingegen, ist sie kaum oder gar nicht ablesbar. 

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© BONNINSTUDIO

Der Übergang vom verschlossenen in den offenen Zustand wird durch eine Reihe chemischer Schalter reguliert, die dafür sorgen, dass Gene leichter oder schwerer abgelesen werden können. Und genau diesen Mechanismus macht sich die Epigenetik zu nutzen. Wir nennen das eine „Modifikation“. Als Ein- und Ausschalter fungieren dabei kleine biochemische Moleküle, die an die DNA gehängt werden. Beispiele dieser epigenetischen Anhängsel sind Methyl- oder Acetylgruppen. Dieser Vorgang passiert täglich millionenfach in deinem Körper. Wie du bereits weißt, hat jede Zelle ihre Funktion und nicht alle Gene werden zur selben Zeit benötigt. Somit sind nur etwa ein paar Hundert der 22.000 Gene auch tatsächlich „angeschaltet“. Zum Glück kannst du einiges dafür tun, dass die „richtigen“ Gene an- oder ausgeknipst werden, denn die Modifikationen stehen in direktem Kontakt mit inneren und äußeren Reizen. Deine Epigenetik beeinflusst du durch Ernährung, wie häufig du Sport betreibst oder wie es um dein soziales Umfeld sowie deine mentale Gesundheit steht.

Beispiele für die Anwendung von Epigenetik[3][5]

Der Einfluss des Lebensstils auf die „Verpackung“ der Gene ist bereits gut dokumentiert. Ernährung, Stress, Trauma, Schlafmangel und Bewegung sind nur einige Beispiele von Einflüssen, die auf deine Epigenetik wirken. Nun stellt sich die Frage, ob du deine Gene durch einen gesunden Lebensstil steuern oder sogar programmieren kannst. Heute wird das oft als „Biohacking“ bezeichnet. Und dieser Gedanke ist gar nicht so abwegig. Eine Vielzahl von Studien zeigen deutlich, dass durch eine gesunde Ernährung epigenetische Mechanismen beeinflusst werden.

Epigenetik & Ernährung[6][7]

Pizza
© Unsplash

Wie können also bestimmte Lebensmittel die Aktivität deiner Gene verändern? Unter anderem werden Methylgruppen auch über deine Ernährung zugeführt. Durch einen frischen Salat werden also andere Gene ein- oder ausgeschaltet als z.B. durch eine Pizza. Ein eindrucksvolles Beispiel wie sehr die Epigenetik durch die Ernährung beeinflusst wird, finden wir bei den Honigbienen: Nur jene Biene, die mit Gelee Royal gefüttert wird, kann sich auch zur Königin entwickeln. Das wertvolle Gelee Royal aktiviert Gene, die für das Wachstum und die Fortpflanzung wichtig sind. Die Königin wird größer und stärker als die Arbeiterbiene, die lediglich mit einem Honig-Pollen-Brei versorgt wird.

Neben Gelee Royal liefern auch bestimmte Lebensmittel, die vielleicht bereits Teil deiner täglichen Ernährung sind, jede Menge Methylgruppen. Dazu gehören unter anderem Brokkoli oder grüner Tee. Sie enthalten viel Polyphenol und Sulforaphan, die als An- und Ausschalter bestimmter Gene den Bauplan für gesundheitsfördernde Stoffe liefern.

Wissenschaftler sind sich einig: Frisches Obst und Gemüse, hochwertiges Eiweiß und eine Ernährung reich an wertvollen Mikronährstoffen wirken positiv auf die Genaktivität. Als besonders förderlich gelten Methylgruppen-reiche Lebensmittel wie z.B. Spargel, Kohl, Spinat, Vollkornprodukte und Weizenkleie, Eigelb und Leber. Aber auch Hülsenfrüchte wie Linsen, Kartoffeln, Fisch, Nüsse und hochwertige pflanzliche Öle sind gute Methylgrupen-Lieferanten. Durch zu viel Zucker werden vermehrt Entzündungsgene aktiviert. Ebenso ungünstig auf deine Epigenetik wirken sich Schad- und Giftstoffe in deiner Ernährung aus. Bevorzuge daher naturbelassene Lebensmittel, die weniger mit Umweltgiften belastet sind. Es ist nichts Neues, dass Obst und Gemüse gesund sind. Nun liefert die Epigenetik eine neue Erklärung dafür, warum Obst und Gemüse großzügig in deiner Ernährung vorkommen sollte.

Familie kocht gemeinsam
© Stiefkind Fotografie

Gesunde Ernährung

Dieser Beitrag liefert dir weitere Informationen darüber, was gesunde Ernährung ausmacht und woran du dich am besten halten solltest.
Zum Beitrag

Epigenetik & Psychologie[8][9]

Deine Epigenetik wird nicht nur durch äußere, sondern auch durch „innere“ Faktoren bestimmt. Emotionale Reaktionen, psychische Verfassung und nervliches Gleichgewicht sind Beispiele dieser „inneren“ Einflüsse.

Frau sitzt auf Couch
© Stiefkind Fotografie

Vielleicht hast du es selbst schon einmal erlebt. Im Gespräch mit einer Person, die an Depressionen leidet, stellt sich schnell heraus, dass Mutter oder Vater diese Erkrankung ebenso haben. Und Nachkommen von Betroffenen mit schweren Traumata sind häufig ängstlicher und weniger stressresistent. Wie wirken sich also die Lebenserfahrungen deiner Groß- und Urgroßeltern auf dich aus? Die Epigenetik bietet neue Ansätze einer Erklärung. Forschungen, wie und was im Bereich der Psychologie von einer Generation auf die Nächste vererbt wird, gestalten sich beim Menschen allerdings schwierig. Zu groß ist der Schatz an Erfahrungen, die du täglich sammelst. Zu vielfältig sind die Einflüsse, die auf dich wirken. Tierversuche müssen also herhalten und diese liefern erste Ergebnisse. Anhaltender Stress oder ein Trauma können Spuren im Erbgut hinterlassen, indem z.B. die Genablesung bestimmter Hirnregionen hoch- oder herunterreguliert wird. Unter anderem haben weniger Methylierungen eine gesteigerte Produktion von Stresshormonen im Hippocampus der Tiere zur Folge.

Aus den Experimenten an Mäusen wissen wir: die Tiere geben ihre epigenetische Last weniger an ihre Jungen weiter, wenn es ihnen gut geht, sie mit ihren Artgenossen leben und sich austoben durften. Wenn es ihnen schlecht geht, geben sie durch die Epigenetik dieses Trauma an die nächste Generation weiter. Ob diese Erkenntnisse auch auf die Psychologie des Menschen zutreffen, bleibt weiter spannend.

Verfasst von

Cornelia Lenardt
Ernährungswissenschaftlerin & Trainerin für intuitives und achtsames Essen
Cornelia hat Ernährungswissenschaften in Wien studiert und ist bei Pure Encapsulations Teil des Teams Scientific Communications. Dort überzeugt sie mit ihrer lustigen und offenen Art und setzt ihr Know-how bei der wissenschaftlichen Recherche und dem Aufbereiten des gesammelten Wissens zu Texten ein. Privat findet man sie meist kletternd oder wandern in den Bergen oder gemütlich Zuhause, vertieft in die nächste Geschichte.
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Häufig gestellte Fragen

Einzelnachweise

  1. Mansuy I.M.,et al.; Wir können unsere Gene steuern; Verlag in Der Piper 2022;
  2. Epigenetische Faktoren - Lexikon der Neurowissenschaft;
  3. Epigenetik zwischen den Generationen | Max-Planck-Gesellschaft;
  4. Das Epigenom: Der Dompteur der Gene;
  5. Epigenetik: Ernährung kann Spuren am Erbgut hinterlassen - Spektrum der Wissenschaft;
  6. N U T R I G E N O M I K;
  7. Gesunde Ernährung: Nutrigenetik: Unser Erbgut, unser Essen - [GEO];
  8. Zenk F.,et al.; Germ line–inherited H3K27me3 restricts enhancer function during maternal-to-zygotic transition; Science 2017;357(6347):212-216.
  9. Ulrike Gebhardt.; Traumata, Geerbte Erfahrungen; Spektrum der Wissenschaft Kompakt Link, abgerufen am 2018:33-39.